Die Wahrnehmung als „eigene Wirklichkeit“ muss nicht zwangsläufig was mit der Realität zu tun haben. Das studiert der staunende Erwachsene an den lieben Kleinen, die sich – ebenso wie die Großen – ihre Welt durch Konzepte erklären. Diese Gedankengebäude stürzen manchmal so leicht zusammen wie schlecht gestellte Kartenhäuser. Leider, denn nichts ist spannender als die fantastische Welt kindlicher Erklärungen.
So erläutert der coole Grundschüler auf dem Spielplatz mit wichtiger Miene, der beste Torwart der Welt sitze bei Real Madrid deshalb nur auf der Ersatzbank, um in den entscheidenden Momenten des Spiels eingewechselt zu werden. Es sei ein taktischer Schachzug der „Königlichen“, die besten Spieler erst in der Schlussphase zu bringen, um das Spiel noch zu drehen. Ob Iker Casillas das auch so sieht?
Oder das Schulmädchen, das nach einem intensiven Studium diverser Sachkinderbücher eine kurze Geschichte der Welt erzählt, die jeden Historiker erblassen lässt: „Am Ende des Mittelalters sind die Ritter ausgestorben, dann sind die Piraten ausgestorben, und heute gibt es nur noch die normalen Hausmenschen.“ Alle Menschen müssen eben sterben – und besonders bemerkenswert ist, dass unser i-Dötzchen diese Feststellungen am Totensonntag trifft.
Im Advent sehen die kindlichen Erklärungswelten schon wieder freundlicher aus. Das mag auch an der saisonal bedingten Vorweihnachts-Kinderliteratur liegen. So bemerkte unser Tochterherz kürzlich treffend, dass Mama und Papa ja ziemlich weit zu laufen hätten, wenn Angela Merkel sie zählen lassen wollte. Sascha Stienen

(Heute erschienen im Bonner General-Anzeiger.)
Der Beitrag wurde am Freitag, 3. Januar 2014, 02:37 veröffentlicht und wurde unter dem Topic abgelegt. Sie können einen Kommentar hinterlassen.
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