Unterhaltsam und klug: Walter Schmidt erklärt die Rätsel der räumlichen Psychologie


Erfolg nach persönlicher Anstrengung: Den Gipfel zu stürmen, das macht uns richtig glücklich.

Von Sascha Stienen

Der Bonner Autor und Wissenschaftsjournalist Walter Schmidt hat ein bemerkenswertes Buch über räumliche Psychologie vorgelegt. „Warum Männer nicht nebeneinander pinkeln wollen“, lautet der Titel dieses unterhaltsamen und klugen Sachbuches. Man merkt jedem Satz die Freude an, mit der sich der Autor seinem Thema gewidmet hat.
„Wann immer wir uns einen Lebensraum aneignen, geschieht das nicht zufällig am ausgewählten Ort“, schreibt der studierte Geograph. „Wir bewegen uns dorthin, wo wir uns behaglich fühlen, und meiden Orte der Gefahr und des Unwohlseins, wie übrigens Tiere auch.“ Das Erbe unserer Vorfahren, der Steinzeitmenschen, steckt uns noch gehörig in den Knochen, meint Schmidt. „Und wohl oder wehe auch im Gehirn.“


Das Buch zeigt: Jeder Tag ist voll von raumpsychologischen Entscheidungen, die wir treffen müssen. Das zeigt der Autor in einer Reihe von Kapiteln, die alle irgendwie mit Raum, Räumen, Orten und Ortswechseln zu tun haben: „Wie wir unser Revier verteidigen“ zeigt, warum Menschen mit zu großer Nähe manchmal ihre Schwierigkeiten haben und sich ab und zu abgrenzen müssen. Walter Schmidt erläutert, warum wir hoch und nicht runter zum Chef müssen und warum der Boss immer so schwer zu erreichen ist.

Männer gehen stets voran

Ebenso spannend das Kapitel über die Orientierung: „Wie wir uns zurechtfinden“ veranschaulicht etwa, warum Männer stets vorangehen und wir in Kirchen schleichen und flüstern. Gefahren begegnen wir mit geschickten Orts- oder Richtungswechseln: Wir machen um Bettler einen Bogen und verkriechen und zu Hause, wenn wir krank sind. Schmidt erklärt, warum das so ist.
Beim Streifzug durch die Welt der raumpsychologischen Phänomene erfährt der Leser, warum die Wand im Rücken eine beruhigende Wirkung hat und er deshalb im Restaurant einen Platz wählen wird, von dem er einen geschützten Ausblick auf die Umgebung hat. Klar wird dank der Lektüre auch, warum Menschen so gerne auf Gipfel stürmen: Der Berg ruft uns immer wieder, weil es uns großes Wohlbehagen verursacht, aus eigener Kraft und unter Schmerzen nach oben zu kommen. Dort oben genießen wir neben dem weiten Blick die Distanz zum Alltag und den Problemen und Nöten des Lebens im Tal.

Geldverdienen mit Warteschlangen

Schmidts Freude an der Materie weckt immer wieder seine Fabulierlust, zum Beispiel wenn im Abschnitt über den Stau das Fahrzeug zum Stehzeug mutiert. Dabei müssten die Menschen doch nur vorausschauend fahren und einen Abstandsraum halten, um sich derlei zu ersparen. Den Menschen nervt es, Zeit zu verschwenden, weshalb sich laut Schmidt mit der Langeweile der Menschen in Warteschlangen gutes Geld verdienen lässt.

Gesunde Distanz

Der Autor gibt dem Leser eine Reihe nützlicher Ratschläge mit auf den Weg, ohne dabei belehrend zu wirken. So ist es manchmal besser für die Gesundheit, Distanz zu wahren und sich abgrenzen – vor allem in Räumen mit niedrigen Decken. Und vor dem Verlassen eines Raumes sollte eine Idee sofort aufgeschrieben werden, weil das Arbeitsgedächtnis beim Raumwechsel bereinigt wird. Als passionierter Wanderer hält es Schmidt übrigens mit Montaigne, der dem Denken die Bewegung voraussetzt: „Mein Geist rührt sich nicht, wenn meine Beine ihn nicht bewegen.“ Schmidts Buch bewegt den Geist auch.

Info: Walter Schmidt, Warum Männer nicht nebeneinander pinkeln wollen. Und andere Rätsel der räumlichen Psychologie, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 256 Seiten, 8,99 Euro
Der Beitrag wurde am Mittwoch, 9. Oktober 2013, 03:53 veröffentlicht und wurde unter dem Topic abgelegt. Sie können einen Kommentar hinterlassen.
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