Dienstag, 21. Februar 2012
21. Februar 2012
Bei einigen besonderen Büchern weiß man schon nach wenigen Seiten, dass sich die Anschaffung gelohnt hat. „Universalcode. Journalismus im digitalen Zeitalter“ (Euryclia, 579 Seiten, 27,90 Euro) ist so ein wertvolles Buch. Die Herausgeber Christian Jakubetz, Ulrike Langer und Ralf Hohlfeld haben damit ein Standardwerk für Journalisten im Internetzeitalter vorgelegt. Was die Autoren hier zusammentragen, ist angewandter Nutzwertjournalismus.
Zum Beispiel Stefan Plöchingers Text vom „Blattmachen“ im Netz, der damit auf den Punkt bringt, warum Schreiben fürs Netz eben nicht heißt, Print-Inhalte per Copy-and-paste-Taste ins Content-Management-System zu überspielen. „Seien Sie kontrovers, pointiert, prägnant, personalisieren Sie“, rät Plöchinger. Er versteht Schreiben als Handwerk, das überprüfbar ist: „Sind die ersten fünf, sechs Worte ungewöhnlich, interessant, lustig?“
Von den klickreizenden Texten geht es mit Daniel Fiene und Dennis Horn ins Radio: mit konkreten Beispielen für gelungenes Radiomachen im und mit dem Netz, mit Tipps für passende Technik und Anleitungen zur Nutzung von Software wie etwa „Audacity in 8 Schritten“. Wer schon schreibt und fotografiert, kommt dann spätestens im Text „Multimediale Reportagen“ von Simon Kremer und Marc Röhlig auf den Geschmack, mal eine Audioslideshow zu fabrizieren, „ein kraftvolles, neues Medium“ mit einer langsamen und eindrücklichen Erzählweise.
Auf dem Aufmerksamkeitsschlachtfeld
Markus Hündgen gibt wertvolle Ratschläge zu Web-Videos, zum Beispiel das Spannendste nach vorne zu stellen, damit der Clip überhaupt eine Chance hat auf dem „Aufmerksamkeitsschlachtfeld“ Internet. „Die kostenlose Möglichkeit, sein eigener Sender zu werden, zu berichten und mit Bewegtbild eine Meinung auszudrücken, hat eine ganze Generation geprägt“, schreibt Hündgen über die Pionierleistung von YouTube. Vom Filmen mit Handy ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zum „Mobile Reporting“, dem sich Marcus Bösch widmet.
„Mobile Journalism“ definiert Bösch als „die Nutzung von mobilen Endgeräten zum Finden, Sammeln, Aufzeichnen, Bearbeiten, Produzieren und der drahtlosen Veröffentlichung von Material wie Text, Fotos, Audios oder Kombinationen daraus“. „Idealerweise passiert all dies auf einem einzigen Gerät“, folgert Bösch.
So wird aus dem guten alten Reporter das multimediale Ein-Mann-Sende-Team. Riesengroße, schwere und auffällige Technik ist dabei nicht immer erforderlich, oder wie Bösch schreibt: „Die beste Kamera ist die Kamera, die Sie mit dabei haben.“
Bewegende Storys in bewegten Bildern
Die Brücke zur Recherche schlägt Marcus Lindemann in seinem Text: „Echte Augenzeugenschaft des Reporters am Ort des Geschehens ist wichtiger als die Dauerpräsenz der Korrespondenten auf den Bildschirmen.“ Lieber eine bewegende Geschichte in bewegten Bilder als die hunderttausendste Live-Schaltung zum Berlin-Korrespondenten vor dem Bundestag („In diesen Stunden diskutiert die Koalition...“). Zwei weitere spannende Forderungen leitet Lindemann aus seiner scharfsinnigen Betrachtung ab: „Entschleunigung ist Qualität“ und „Recherche braucht Unterstützung – Zeit, Geld und Zuspruch von Lesern wie Vorgesetzten“.
Weitere spannende Kapitel befassen sich mit Fotografie, mit Hyperlokaljournalismus und Datenjournalismus. Christian Lindner schreibt über den „Wandel des Lokaljournalismus“ einen Text, der als Standardwerk bezeichnet werden darf. So war das früher, werden einige altgediente Journalisten denken – und dann hoffentlich endlich anfangen zu bloggen, zu twittern und zu facebooken, wie es auch Ulrike Langer und Björn Sievers fordern.
Das Internet als Dialogmedium
Dirk von Gehlen schreibt in seinem lesenswerten Text „Internet als Dialogmedium“: „Wer sich als Journalist diesem Dialog komplett verweigert, verhält sich wie ein Geschäftsmann, der niemals telefoniert, obwohl der Apparat beständig klingelt: Er beschädigt seinen Ruf und auf lange Sicht natürlich auch sein Geschäft.“ Kommunikation mit aktiven Nutzern verlangt nach Zuhören und Reagieren – soziale Kompetenzen sind dabei gefragt, dazu Höflichkeit und Serviceorientierung. Der Unternehmerjournalist perfektioniert den Umgang mit dem Journalismus im digitalen Zeitalter, indem er an Verlagen und anderen Gatekeepern vorbei direkt seine Kunden sucht und findet. Das vorliegende Buch, das bei Euryclia erscheint, ist dafür das beste Beispiel. Ein überaus gelungenes zudem.
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