Montag, 13. Februar 2012
13. Februar 2012
Nachrichtenchef Craig Menzies kommt jeden Morgen als Erster in die Redaktion und macht das Licht an: „Im ganzen Newsroom flackern fluoreszierende Strahler auf wie unwillige Lider von Morgenaugen.“ Menzies stellt eine Kanne Kaffee auf seinen Tisch, macht den Fernseher an, guckt CNN und BBC durch sowie die eingegangenen Telexe und macht eine Liste, wer welchen Artikel bearbeiten soll. „Jetzt kommen auch andere Mitarbeiter: Sekretärinnen, Techniker, Redakteure, Reporter.“
In seinem fabelhaften Zeitungsroman „Die Unperfekten“ (dtv premium, 395 Seiten, 14,90 Euro) nimmt Tom Rachman den Leser mit in Geschichte und Alltag einer internationalen Zeitung in Rom. Die Episodengeschichten aus Sicht von zehn Mitarbeitern und einer Leserin verbinden Gegenwart und Vergangenheit des sterbenden Blattes. Dabei ist dieses Buch so witzig, so überraschend, so unterhaltsam und gleichzeitig so gefühlvoll und wahrhaftig. Und es beschreibt viele Details, die auch bei jeder anderen Zeitung so sind oder so sein könnten.
Rein und edel, solange Geld da ist
Nur Chefkorrektoren wie Herman Cohen gibt es heute eher seltener als früher. Dennoch lohnt sich auch das Kapitel aus seiner Perspektive, zum Beispiel wegen seiner Einlassungen über die Zielgruppe: „Leser bilden eine Art Gemeinde, sie kommen zwar nirgends zusammen, aber sie werden zusammengehalten von geliebten und verhassten Autorennamen, von vermasselten Bildunterschriften, vom ruhmreichen Kasten mit den Berichtigungen.“
Am Ende jedes Kapitels blickt der Autor zurück in die Geschichte der Zeitung und beschreibt entscheidende Wegmarken. Wie die Einführung des Chefredakteurs Milton Berber, der bei seiner Antrittsrede im Jahr 1975 die Redaktion ordentlich ineinander staucht: „Zeitungen funktionieren wie der Rest der Welt: Sie sind rein und edel und unbestechlich – solange sie sich das leisten können. Wenn man sie aushungert, wühlen sie genauso tief im Müll wie jeder andere Penner. Reiche Zeitungen können es sich leisten, aufrecht zu sein und meinetwegen auch überheblich. In dieser angenehmen Lage befinden wir uns derzeit nicht.“
Journalisten - zickig und dickköpfig
Berber verordnet seinen Kollegen angewandten Grips, harte Arbeit und mehr Humor: „Unterhaltsamer, Leute!“, sagt er und freut sich, als seine Rede so ankommt wie erwartet. Nämlich gar nicht gut. Denn: „Journalisten sind zickig wie Kabarettisten auf der Bühne und dickköpfig wie Maschinisten in der Fabrik.“ Berber lächelt, weil er weiß, dass sein Plan trotzdem aufgeht. Vorerst.
Denn letztlich scheitert die Zeitung dann doch, und mit ihr scheitern auch fast alle der elf Charaktere – jeder auf seine eigene Weise. Das ist manchmal anrührend und immer unerwartet. Rachman gelingt nämlich das Kunststück, jede Episode wie eine Kurzgeschichte zu stricken – mit eigenem Spannungsboden und einem unerwarteten Ende. Auch das bereitet Lesefreude. Nicht nur dem Journalisten.
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