Samstag, 1. Februar 2014

In einem stellenweise sehr witzigen und wahren Buch hat Ralf Heimann seine Erfahrungen als Lokalreporter in der Provinz verarbeitet. „Die tote Kuh kommt morgen rein“ zeigt am Beispiel der fiktiven Zeitung Borkendorfer Bote, wie Lokaljournalismus in der Provinz funktioniert, obwohl es in jeder Kleinstadt oder in jedem Dorf natürlich noch ein bisschen anders zugeht als in der Fiktion. Einiges aber scheint typisch zu sein für das Reporterleben auf dem Lande: Der Vereinsheini, der jede Woche seine Meldung persönlich hereinbringt und die Redakteure volltextet. Der brummige Lokalchef, der alles schon mal erlebt hat und deswegen keine richtige Begeisterungsfähigkeit mehr zu Tage bringt. Der freie Mitarbeiter, der immer dieselben Artikelanfänge liefert. Das „leibliche Wohl“ und die Tradition in Verkörperung von Karnevalisten, Schützen, Kirmesleuten. Sowie die neunmalklugen Leserbriefschreiber und die nervigen PR-Fuzzis. – Einfach herrlich! Ein Pflichtbuch für Journalisten.
Sascha Stienen
(Im Dezember 2013 erschienen im Bonner General-Anzeiger.)

Ralf Heimann, Die tote Kuh kommt morgen rein, Fischer Scherz, 336 Seiten, 14,99 Euro
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Samstag, 25. Januar 2014


Seit fast zehn Jahren organisiert Dirk Geil die Konzertreihe „Bonn-Stomp“ in der Altstadt. Einer seiner Schützlinge tritt jetzt im Pantheon-Casino auf

BONN/ALTSTADT.
Dirk Geil bringt ein überaus nützliches Geschenk mit ins BLA: die original Bonn-Stomp-Tasse. Auf der Rückseite des hübschen weißen Kaffeebechers mit der rettungsringartigen Klobrille steht die Definition von Bonn Stomp: „1. aus der Not entstandene Konzertreihe in der Rheinprovinz; 2. Rettung für modernen Rock’n’Roll, schmutzigen Blues, derbe Garage, spritzigen Surf, primitiven Beat, rückständigen Country & Hillbilly und weitere simplifizierende Musizierarten. Alles in liebevoller Handarbeit. Seit 2005“.

In der Lärmanstalt

Der 45-jährige Dirk Geil ist der ehrenamtliche Veranstalter dieser skurrilen Konzertreihe, die alle zwei Monate fortgesetzt wird. Für gewöhnlich treten die Bands auf der kleinen Bühne im BLA (BonnerLärmAnstalt) in der Altstadt auf, wo es mit mehr als 50 Gästen schnell mal eng und gemütlich wird und echte Kneipen-Konzert-Atmosphäre entsteht.
Manchmal gibt der Bonn-Stomp auch Gastspiele – und am Samstag, 1. Februar, um 20 Uhr ein besonders großes: The Dad Horse Experience spielt erstmals im Casino des Pantheons. Der Bremer Künstler tritt zum fünften Mal in Bonn auf und hat sich hier mit seiner unterhaltsamen Form des weißen Kellergospels eine kleine Fangemeinde erspielt. Wenn Dirk Geil diesen Künstler vorstellt, klingt das so: „Die Legende um den Bremer Dad Horst Ottn erzählt, dass er das traurige Dasein eines verkommenen Galgenvogels führte, bis ihm eines Tages Jesus befahl, ein Lied zu singen, und zwar mit Banjo, Basspedal und Kazoo. Das ist alles, was diese Einmann-Erlösungsband für Ihre Seelenrettung braucht.“

Der Prediger an der Theke

Heute predigt der geläuterte Ottn-Horst den Säufern an der Theke, dass Wasser und Tee das neue Bier sind und die armen Sünder ihr Heil allein bei Gott finden: „Lord must fix my soul, turn that shit into gold!“ Wenn Dirk Geil das zitiert, muss er schmunzeln. Ja, der Dad Horse ist schon ein ganz spezieller Musiker.
Die Liebe zur Musik entdeckte der junge Dirk, Jahrgang 1968 aus Oldenburg bei Bremen, schon sehr früh. Verantwortlich dafür war der Tod einer Legende: Elvis Presley starb 1977, und die Zeitungen und Magazine waren voll davon. Der King eroberte das Herz eines Neunjährigen, der zu diesem Zeitpunkt in Brüssel lebte. Der Vater, ein Berufssoldat, war dort bei der NATO stationiert. „In Brüssel bin ich Elvis-Fan geworden und habe so um die 100 Platten von ihm zusammengekauft.“
Mit zwölf kam Dirk nach Bonn. Dort war Elvis aus irgendwelchen Gründen nicht so angesagt. „Da musste ich mich neu orientieren.“ Trio vor „Da da da“ und die Neue Deutsche Welle gefielen ihm – oder Bands wie die Einstürzenden Neubauten. Den Malibu-Mailorder-Versand liebte er, weil er durch ihn auf ungewöhnliche Bands stieß. Und im Plattenladen „Normal“ an der Bornheimer Straße kauften jene Freaks, die Achtziger-Jahre-Independent hörten – „das, was damals Underground hieß“. Da kaufte der 16-Jährige dann ab und zu auch Platten, ohne zu wissen, was für eine Musik das war. Manchmal einfach, um sie zu kaufen. „So entwickelte ich einen recht obskuren Geschmack.“

Die Haloperidol-Band

Eigene Band-Versuche wie die Haloperidol-Band in der Zivi-Zeit endeten nach wenigen Auftritten. Zum erfolgreichen Musiker war Dirk Geil offenbar nicht geschaffen, aber zum Präsentieren richtig guter, oft noch unbekannter Musik. Mitte der Neunziger baten Dirk und sein Kumpel Cheb Andy einmal im Monat als DJs in den „Club der Ölbarone“ – eine in Anlehnung an J.R. Ewing organisierte Party in der Travestie-Kneipe von Curt Delander (ebenfalls einer der 100 GA-Köpfe). Später legte Dirk Geil dann regelmäßig im BLA auf, wo es regelmäßig Konzerte gab und gibt. Vor fast zehn Jahren fragte der DJ, ob er dort auch selbst Konzerte veranstalten dürfe. Seitdem gibt es den Bonn-Stomp, für viele Über-, aber auch Unter-40-Jährige in der Altstadt ein Pflicht-Termin.
Dirk Geil lädt ab und zu Künstler aus den USA ein wie im kommenden September Jack Oblivian aus Memphis/Tennessee. Aber er fördert auch hoffnungsvolle Bands aus Bonn und Umgebung wie die X-Ray Harpoons, Slin oder Jonah Gold and his Silver Apples. Die meisten Bonn-Stomp-Konzerte münden in eine Party, bei der getanzt wird.
Nun ist Dirk Geil gespannt, wie es seinem Schützling Dad Horse im Pantheon ergeht. Nach dem GA-Gespräch läuft Dirk noch kurz rüber ins „Namenlos“, um dort ein neues Plakat für das Konzert aufzuhängen. Das andere wurde entfernt. Vielleicht hat ein Fan es mitgenommen. Sascha Stienen

(Heute erschienen im Bonner General-Anzeiger.)
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Donnerstag, 23. Januar 2014

Die Diagnose im Februar 2010 lautet: Hirntumor. Wie viel Zeit bleibt Wolfgang Herrndorf? „Gib mir ein Jahr, Herrgott, an den ich nicht glaube, und ich werde fertig mit allem (geweint)“, notiert der Autor in seinem Blog, das jetzt als Buch erschienen ist. Wie ein Besessener schreibt Herrndorf gegen den nahenden Tod an – und gewinnt: Im Herbst 2010 erscheint „Tschick“, das sich mehr als eine Million mal verkauft, ein Jahr später „Sand“, das den Preis der Leipziger Buchmesse bekommt.
Ebenso anrührend wie trotzig beschreibt Herrndorf den Niedergang – „und mit einem Faustkeil in der erhobenen Hand steht man da auf der Spitze des Berges, um dem herabstürzenden Asteroiden noch mal richtig die Meinung zu sagen.“ Am späten Abend des 26. August 2013 setzt Wolfgang Herrndorf seinem Leben am Hohenzollernkanal in Berlin ein Ende. Er wird nur 48 Jahre alt.
Sascha Stienen
(Erschienen im Bonner General-Anzeiger am 18. Januar 2014.)

Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur, Rowohlt, 448 S., 19,95 Euro, oder online: http://www.wolfgang-herrndorf.de/
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