Dienstag, 7. Oktober 2008
7. Oktober 2008
Die Literaturwissenschaft ist eine Lebenswissenschaft. Schon deshalb, weil Erzählungen und Mythen den Alltag der Menschen bestimmen und die Literaturwissenschaft helfen kann, sonderbare Ereignisse mittels typischer Erzählverfahren zu erklären.
Zum Beispiel den Umstand, dass Geschäfte aus der Orientteppichbranche gefühlte Jahrzehnte brauchen, um einen angeblichen totalen Räumungsverkauf wegen angeblich anstehender Geschäftsaufgabe über die Bühne zu bekommen.
Dabei bedienen sich die Händler nicht nur der mündlichen Weitergabe ihrer Geschichten, sondern gehen auch den Weg über schriftliche Anzeigen:
- So teilt ein Händler im September in einer seriös aufgemachten Anzeige mit, dass im Teppichhaus ein vereidigter Auktionator die Liquidation gepfändeter Teppiche mit Nachlässen bis zu 75 Prozent koordiniere. Alle Bürger seien aufgerufen, „ihr Recht zu verhandeln ausgiebig zu nutzen und diese besondere Chance, ... Knüpfkunst aus dem Orient zum Bruchteil des wahren Werts erwerben zu können, auf keinen Fall zu verpassen!“.
- Zwei Wochen später die nächste Anzeige, die einen kompromisslosen Endspurt, weitere „Preiszugeständnisse“ in den letzten Tagen der angeordneten Bestandsauflösung und noch drastischere Nachlässe verspricht.
- Eine weitere Woche später teilt eine Anzeige mit, dass an den letzten fünf Tagen die Preisbindungen sogar ganz aufgehoben werden. Jetzt bestimmten also die Kunden den Preis selbst mit!
Kurzum: Die dramatisch klingenden Anzeigen sollen so eine Art Torschluss-Teppichkaufpanik erzeugen. Auf die scheinbar letzte Chance zum Zugreifen folgen immer noch letztere und bessere Chancen.
Hier haben wir es zu tun mit einer Variation des Scheherazade-Erzählmusters: Erzählen als Überlebensstrategie. Am Ende einer jeden wunderschönen Geschichte, welche die Todgeweihte dem König vorträgt, kündigt Scheherazade an: Aber die morgige erst! Und in der Angst etwas verpassen zu können, spricht der König: „Bei Allah, sie soll nicht eher sterben, als ich das Ende ihrer Geschichte gehört habe.“ Das dauert dann bekanntlich tausendundeine Nacht.
Bei den Orientteppichhändlern ist das offenbar ähnlich: Sie müssen auch immer schönere Geschichten erzählen, um wirtschaftlich zu überleben. Sie erzählen von ihrem bevorstehenden Tod und dem damit verbundenen Ausverkauf des Firmeninventars. Den Tod vor Augen, tritt auch des Wesirs Tochter Scheherazade billiger ihre kostbaren Kleider ab. Und wenn deine Geschichte glaubhaft ist, kauft man sie dir ab – oder einen Teppich. Nicht umsonst weist der Schriftsteller Ingo Schulze in seiner Vorlesung „Tausend Geschichten sind nicht genug“ darauf hin, dass die Geschichten aus tausendundeiner Nacht immer wieder vor Augen führen, dass der Erzähler etwas bezweckt.
So geht es also immer weiter – mit Scheherazade wie den Teppichhändlern: „Sie verwob ihre Geschichten so kunstvoll ineinander, dass der König nie müde wurde, ihr zuzuhören und stets mehr hören wollte. So verschonte er ihr Leben von Tag zu Tag, und sie erzählte tausendundeine Nacht hindurch immer neue seltsame Begebenheiten.“
Zum Beispiel den Umstand, dass Geschäfte aus der Orientteppichbranche gefühlte Jahrzehnte brauchen, um einen angeblichen totalen Räumungsverkauf wegen angeblich anstehender Geschäftsaufgabe über die Bühne zu bekommen.
Dabei bedienen sich die Händler nicht nur der mündlichen Weitergabe ihrer Geschichten, sondern gehen auch den Weg über schriftliche Anzeigen:
- So teilt ein Händler im September in einer seriös aufgemachten Anzeige mit, dass im Teppichhaus ein vereidigter Auktionator die Liquidation gepfändeter Teppiche mit Nachlässen bis zu 75 Prozent koordiniere. Alle Bürger seien aufgerufen, „ihr Recht zu verhandeln ausgiebig zu nutzen und diese besondere Chance, ... Knüpfkunst aus dem Orient zum Bruchteil des wahren Werts erwerben zu können, auf keinen Fall zu verpassen!“.
- Zwei Wochen später die nächste Anzeige, die einen kompromisslosen Endspurt, weitere „Preiszugeständnisse“ in den letzten Tagen der angeordneten Bestandsauflösung und noch drastischere Nachlässe verspricht.
- Eine weitere Woche später teilt eine Anzeige mit, dass an den letzten fünf Tagen die Preisbindungen sogar ganz aufgehoben werden. Jetzt bestimmten also die Kunden den Preis selbst mit!
Kurzum: Die dramatisch klingenden Anzeigen sollen so eine Art Torschluss-Teppichkaufpanik erzeugen. Auf die scheinbar letzte Chance zum Zugreifen folgen immer noch letztere und bessere Chancen.
Hier haben wir es zu tun mit einer Variation des Scheherazade-Erzählmusters: Erzählen als Überlebensstrategie. Am Ende einer jeden wunderschönen Geschichte, welche die Todgeweihte dem König vorträgt, kündigt Scheherazade an: Aber die morgige erst! Und in der Angst etwas verpassen zu können, spricht der König: „Bei Allah, sie soll nicht eher sterben, als ich das Ende ihrer Geschichte gehört habe.“ Das dauert dann bekanntlich tausendundeine Nacht.
Bei den Orientteppichhändlern ist das offenbar ähnlich: Sie müssen auch immer schönere Geschichten erzählen, um wirtschaftlich zu überleben. Sie erzählen von ihrem bevorstehenden Tod und dem damit verbundenen Ausverkauf des Firmeninventars. Den Tod vor Augen, tritt auch des Wesirs Tochter Scheherazade billiger ihre kostbaren Kleider ab. Und wenn deine Geschichte glaubhaft ist, kauft man sie dir ab – oder einen Teppich. Nicht umsonst weist der Schriftsteller Ingo Schulze in seiner Vorlesung „Tausend Geschichten sind nicht genug“ darauf hin, dass die Geschichten aus tausendundeiner Nacht immer wieder vor Augen führen, dass der Erzähler etwas bezweckt.
So geht es also immer weiter – mit Scheherazade wie den Teppichhändlern: „Sie verwob ihre Geschichten so kunstvoll ineinander, dass der König nie müde wurde, ihr zuzuhören und stets mehr hören wollte. So verschonte er ihr Leben von Tag zu Tag, und sie erzählte tausendundeine Nacht hindurch immer neue seltsame Begebenheiten.“
0 Kommentare »
Montag, 6. Oktober 2008
Samstag, 4. Oktober 2008
4. Oktober 2008
Eine der Lieblingsbeschäftigungen sprachlich interessierter Jäger und Sammler ist die Zeitungsausschnipselei. Findlinge aller Art sammeln sich im Notizbuch. Hier die fünf schönsten:
5. „Lass uns faul in allen Sachen / Nur nicht faul zu Lieb’ und Wein / Nur nicht faul zur Faulheit sein.“ Gotthold Ephraim Lessing (aus einer Tageszeitung)
4. „Der Unterschied zwischen der Deutschen Post und alternativen Postanbietern wird einem zum Beispiel auch dann klar, wenn man sieht, wie sich der Angestellte eines alternativen Anbieters mit der Kreditkarte an der Haustür zu schaffen macht, um sich Zugang zu den Briefkästen zu verschaffen.“
http://wasweissich.twoday.net/ (aus: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
3. „Müdigkeit und frische Vaterschaft können beruflich förderlich wirken. Roger Martin Buergel, künstlerischer Leiter der Documenta XII, antwortete dem ,Hamburger Abendblatt’ auf die Frage, wodurch er sich für seinen Posten ausgezeichnet habe: ,Wir hatten gerade unser zweites Kind bekommen, ich hatte einige Nächte nicht durchgeschlafen... Ich glaube, diese Gelöstheit hat dazu beigetragen, mich zu qualifizieren.’ Welch Fortschritt: Nach oben schlafen kann man sich heute auch nicht-schlafen.“ EVT (aus: Die Zeit)
2. „Ja, das ist eine Wortbildung. Rindergezadder, Schweinegezadder, Pferdegezadder. Also was als Steak verkauft wird, aber eigentlich ein Nackenstück ist, was dann zadderig ist, das ist Berlinerisch und heißt: es ist sehnig, unkaubar und stellt immer die Gefahr dar, das es einem im Halse als Spirale hängen bleibt. Schweinegezadder.“ Manfred Krug im Interview mit Peter Richter über den Titel seines neuen Buches (aus: FAS, 14.09.2008)
1. Das „Zeit“-Zitat dieser Freizeit-Revue-Gegendarstellung:

Großes Kino!
5. „Lass uns faul in allen Sachen / Nur nicht faul zu Lieb’ und Wein / Nur nicht faul zur Faulheit sein.“ Gotthold Ephraim Lessing (aus einer Tageszeitung)
4. „Der Unterschied zwischen der Deutschen Post und alternativen Postanbietern wird einem zum Beispiel auch dann klar, wenn man sieht, wie sich der Angestellte eines alternativen Anbieters mit der Kreditkarte an der Haustür zu schaffen macht, um sich Zugang zu den Briefkästen zu verschaffen.“
http://wasweissich.twoday.net/ (aus: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
3. „Müdigkeit und frische Vaterschaft können beruflich förderlich wirken. Roger Martin Buergel, künstlerischer Leiter der Documenta XII, antwortete dem ,Hamburger Abendblatt’ auf die Frage, wodurch er sich für seinen Posten ausgezeichnet habe: ,Wir hatten gerade unser zweites Kind bekommen, ich hatte einige Nächte nicht durchgeschlafen... Ich glaube, diese Gelöstheit hat dazu beigetragen, mich zu qualifizieren.’ Welch Fortschritt: Nach oben schlafen kann man sich heute auch nicht-schlafen.“ EVT (aus: Die Zeit)
2. „Ja, das ist eine Wortbildung. Rindergezadder, Schweinegezadder, Pferdegezadder. Also was als Steak verkauft wird, aber eigentlich ein Nackenstück ist, was dann zadderig ist, das ist Berlinerisch und heißt: es ist sehnig, unkaubar und stellt immer die Gefahr dar, das es einem im Halse als Spirale hängen bleibt. Schweinegezadder.“ Manfred Krug im Interview mit Peter Richter über den Titel seines neuen Buches (aus: FAS, 14.09.2008)
1. Das „Zeit“-Zitat dieser Freizeit-Revue-Gegendarstellung:

Großes Kino!
0 Kommentare »