Via Rheinsteig von Königswinter bis Unkel. Das stetige Auf und Ab fordert dem ungeübten Wanderer alles ab. Wunderbare Ausblicke und Naturerlebnisse entschädigen für die Mühen
Eigentlich sollte der malerische Blick vom Drachenfels ja eine Belohnung für den mühseligen Aufstieg sein. Wegen der neuen Wanderschuhe beginne ich meine Rheinsteig-Tour morgens um zehn aber lieber mit einer Fahrt in der Zahnradbahn, die einen Erwachsenen für 7,50 Euro in wenigen Minuten auf den Berg bringt. Vom Gipfel startet die Rheinsteig-Tour 3 „Der Berg ruft“, die in 13,4 Kilometern über Ruine Löwenburg und Wingstberg nach Bad Honnef führt.
Zur Einstimmung las ich in der Stadtbahn das wunderbare kleine Buch „Bullau – Versuch über die Natur“. Darin bemerken Andreas Maier und Christine Büchner: „Wir haben kein Verständnis für Raum, übrigens auch keines für Zeit, seitdem wir unsere Füße, unser Raumorgan, nicht mehr den Raum durchschreiten lassen, höchstens noch den Wohnraum, denn im Wohnzimmer gehen wir noch zu Fuß, und in der Küche auch noch.“ Dies ist einer der klugen Sätze, die mich auf den insgesamt 22,9 Kilometern von Königswinter nach Unkel begleiten werden. Denn für den Nachmittag habe ich mir Tour 4 vorgenommen. Titel: „Sieben Berge, sieben Blicke“.
Das Herz ist zum Schlagen da
Mein Raumorgan funktioniert bis zum ersten heftigen Aufstieg prächtig. Der kommt hinter dem schönen Rhöndorfer Waldfriedhof, auf dem Konrad Adenauer begraben liegt. Danach verläuft der Rheinsteig wie das Leben: Es geht stetig auf und ab, teilweise rapide und brutal. Und während die Aufstiege meist anstrengend sind und viel Luft kosten, bereiten die steilen Abstiege Schmerzen und Druckstellen. Spätestens nach der zweiten Stunde und der damit verbundenen Erklimmung der Löwenburg reift die Erkenntnis, dass das „steig“ in Rheinsteig berechtigt ist, dass man seine Arme auch zum Laufen und Balancieren braucht, dass das Herz zum Schlagen da ist und dass man sogar im Laufen ausruhen und entspannen kann – dann nämlich, wenn es weder steil bergab noch bergauf geht.
„Man muß lernen zu warten, bis die Dinge sich zeigen“, schreiben Maier und Büchner über den vergeblichen Versuch, ein bestimmtes Tier bei einem bestimmten Waldspaziergang entdecken zu wollen. „Man kann es nicht wollen. Wollen hilft nichts.“ Die Natur widersetzt sich dem eiligen Voyeur, wer sie langsam durchstreift, bekommt dagegen viel zu sehen. Auf der ersten Etappe begegnen mir eine Libelle, eine Weinbergschnecke, eine Kohlmeise – und unzählige schwarze Käfer, die den Weg kreuzen. In Erinnerung an Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben“ weiche ich den kleinen Schwarzen immer wieder aus.
Blutrünstigere Tiere dagegen schone ich nicht. Zum Hintergrund: Ich wandere deshalb bevorzugt alleine, weil ich irgendwann nicht nur schnaube und schnaufe wie ein Brauereipferd, sondern auch so schwitze. Und das zieht im Wald auf kurz oder lang penetrante Pferdefliegen oder Bremsen an. Als um 13.45 Uhr meine zweite Tour beginnt, habe ich bereits zwei Blutsauger erschlagen. Eine weitere Tote wird folgen.
Wandern ist übrigens auch deshalb so schön, weil man seinen Gedanken nachhängen kann und nicht sprechen muss – höchstens zum Guten-Tag-Wünschen. Das ist auf dem Rheinsteig an diesem Sommertag aber selten, ich treffe nur eine Hand voll anderer Wanderer, darunter einen Taubstummen, dem ich mit Händen und Füßen die Dauer bis zur nächsten Einkehrmöglichkeit beschreibe. Um 14.30 Uhr erreiche ich das „Auge Gottes“. Wie mein Tourenplaner erläutert, handelt es sich dabei um einen Bildstock, den frühere Waldbesitzer errichteten, um Holzdiebe abzuschrecken. Auf einer Tafel steht die Warnung: „Ein Auge ist, was alles sieht, auch was in dunkler Nacht geschieht.“
Grabstein im Wald
Die Schönheit und Vielfalt des Waldes bewundere ich seit Stunden – und immer wieder die stummen Zeugen am Wegesrand. Wie den Grabstein eines Försters aus den 1960er-Jahren und einen uralten Gedenkstein im Rheinbreitbacher Wald, der an einen hier Verunglückten erinnert. Maier und Büchner schreiben: „In jeder einzelnen Wahrnehmung ist die nächste, genauere Wahrnehmung irgendwie schon enthalten, jede einzelne Beobachtung also öffnet für neue, so dass ein immer vollständigerer Austausch mit dem, was um uns herum ist, stattfinden kann.“ Mit geschärftem Blick sehe auch ich nun mehr Tiere – Eichhörnchen, weitere Libellen, ein Rotkehlchen, leider auch mehr Bremsen.
Das letzte Teilstück bis Unkel offenbart nochmals, wie abwechslungsreich und schön die Landschaft auf den Höhen entlang des Rheins ist. Nach sechs Stunden geht es zurück aus der Natur in die Kultur. Bei der Rückfahrt nach Bonn mit dem KD-Schiff „Rhein-Energie“ (10,70 Euro) lese ich bei Maier/Büchner einen Auszug aus dem Gedicht „Ein paar Notizen aus dem Elbholz“ von Nicolas Born: „Du gehst als gingst du unter Freunden/ Du gehst mit tiefen Schritten durch dich selbst.“ Diese Erfahrung kann man auch bei einer Wanderung auf dem Rheinsteig machen.
Sascha Stienen
Eigentlich sollte der malerische Blick vom Drachenfels ja eine Belohnung für den mühseligen Aufstieg sein. Wegen der neuen Wanderschuhe beginne ich meine Rheinsteig-Tour morgens um zehn aber lieber mit einer Fahrt in der Zahnradbahn, die einen Erwachsenen für 7,50 Euro in wenigen Minuten auf den Berg bringt. Vom Gipfel startet die Rheinsteig-Tour 3 „Der Berg ruft“, die in 13,4 Kilometern über Ruine Löwenburg und Wingstberg nach Bad Honnef führt.
Zur Einstimmung las ich in der Stadtbahn das wunderbare kleine Buch „Bullau – Versuch über die Natur“. Darin bemerken Andreas Maier und Christine Büchner: „Wir haben kein Verständnis für Raum, übrigens auch keines für Zeit, seitdem wir unsere Füße, unser Raumorgan, nicht mehr den Raum durchschreiten lassen, höchstens noch den Wohnraum, denn im Wohnzimmer gehen wir noch zu Fuß, und in der Küche auch noch.“ Dies ist einer der klugen Sätze, die mich auf den insgesamt 22,9 Kilometern von Königswinter nach Unkel begleiten werden. Denn für den Nachmittag habe ich mir Tour 4 vorgenommen. Titel: „Sieben Berge, sieben Blicke“.
Das Herz ist zum Schlagen da
Mein Raumorgan funktioniert bis zum ersten heftigen Aufstieg prächtig. Der kommt hinter dem schönen Rhöndorfer Waldfriedhof, auf dem Konrad Adenauer begraben liegt. Danach verläuft der Rheinsteig wie das Leben: Es geht stetig auf und ab, teilweise rapide und brutal. Und während die Aufstiege meist anstrengend sind und viel Luft kosten, bereiten die steilen Abstiege Schmerzen und Druckstellen. Spätestens nach der zweiten Stunde und der damit verbundenen Erklimmung der Löwenburg reift die Erkenntnis, dass das „steig“ in Rheinsteig berechtigt ist, dass man seine Arme auch zum Laufen und Balancieren braucht, dass das Herz zum Schlagen da ist und dass man sogar im Laufen ausruhen und entspannen kann – dann nämlich, wenn es weder steil bergab noch bergauf geht.
„Man muß lernen zu warten, bis die Dinge sich zeigen“, schreiben Maier und Büchner über den vergeblichen Versuch, ein bestimmtes Tier bei einem bestimmten Waldspaziergang entdecken zu wollen. „Man kann es nicht wollen. Wollen hilft nichts.“ Die Natur widersetzt sich dem eiligen Voyeur, wer sie langsam durchstreift, bekommt dagegen viel zu sehen. Auf der ersten Etappe begegnen mir eine Libelle, eine Weinbergschnecke, eine Kohlmeise – und unzählige schwarze Käfer, die den Weg kreuzen. In Erinnerung an Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben“ weiche ich den kleinen Schwarzen immer wieder aus.
Blutrünstigere Tiere dagegen schone ich nicht. Zum Hintergrund: Ich wandere deshalb bevorzugt alleine, weil ich irgendwann nicht nur schnaube und schnaufe wie ein Brauereipferd, sondern auch so schwitze. Und das zieht im Wald auf kurz oder lang penetrante Pferdefliegen oder Bremsen an. Als um 13.45 Uhr meine zweite Tour beginnt, habe ich bereits zwei Blutsauger erschlagen. Eine weitere Tote wird folgen.
Wandern ist übrigens auch deshalb so schön, weil man seinen Gedanken nachhängen kann und nicht sprechen muss – höchstens zum Guten-Tag-Wünschen. Das ist auf dem Rheinsteig an diesem Sommertag aber selten, ich treffe nur eine Hand voll anderer Wanderer, darunter einen Taubstummen, dem ich mit Händen und Füßen die Dauer bis zur nächsten Einkehrmöglichkeit beschreibe. Um 14.30 Uhr erreiche ich das „Auge Gottes“. Wie mein Tourenplaner erläutert, handelt es sich dabei um einen Bildstock, den frühere Waldbesitzer errichteten, um Holzdiebe abzuschrecken. Auf einer Tafel steht die Warnung: „Ein Auge ist, was alles sieht, auch was in dunkler Nacht geschieht.“
Grabstein im Wald
Die Schönheit und Vielfalt des Waldes bewundere ich seit Stunden – und immer wieder die stummen Zeugen am Wegesrand. Wie den Grabstein eines Försters aus den 1960er-Jahren und einen uralten Gedenkstein im Rheinbreitbacher Wald, der an einen hier Verunglückten erinnert. Maier und Büchner schreiben: „In jeder einzelnen Wahrnehmung ist die nächste, genauere Wahrnehmung irgendwie schon enthalten, jede einzelne Beobachtung also öffnet für neue, so dass ein immer vollständigerer Austausch mit dem, was um uns herum ist, stattfinden kann.“ Mit geschärftem Blick sehe auch ich nun mehr Tiere – Eichhörnchen, weitere Libellen, ein Rotkehlchen, leider auch mehr Bremsen.
Das letzte Teilstück bis Unkel offenbart nochmals, wie abwechslungsreich und schön die Landschaft auf den Höhen entlang des Rheins ist. Nach sechs Stunden geht es zurück aus der Natur in die Kultur. Bei der Rückfahrt nach Bonn mit dem KD-Schiff „Rhein-Energie“ (10,70 Euro) lese ich bei Maier/Büchner einen Auszug aus dem Gedicht „Ein paar Notizen aus dem Elbholz“ von Nicolas Born: „Du gehst als gingst du unter Freunden/ Du gehst mit tiefen Schritten durch dich selbst.“ Diese Erfahrung kann man auch bei einer Wanderung auf dem Rheinsteig machen.
Sascha Stienen
Der Beitrag wurde am Mittwoch, 10. September 2008, 03:00 veröffentlicht und wurde unter dem Topic abgelegt. Sie können einen Kommentar hinterlassen.
Eine Reaktion zu 'Hart und schön wie das Leben'
gumbald
Das Wandern kann wirklich befreien und den Geist erweitern. Sehr schön von Dir beschrieben. Was ich auch sehr am Wandern schätze, ist die Einkehr in gastliche Stuben. Da bieten sich einem die seltenen Augenblicke, in denen auch neue Umgebungen einladend und gemütlich wirken können.