Donnerstag, 18. Oktober 2012
Der Lauschangriff ist in Wahrheit ein Angriff auf die Lauscher. Denn was die Leute auf der Straße ohne Not reden oder in ihre Handys sprechen, das verdient Verwunderung. So hört der unfreiwillige Ohrenzeuge an der Kölnstraße ein sonderbares Telefonat. „Einmal die Woche ist Sichtreinigung angesagt“, spricht eine Mittvierzigerin ins Handy. „Sichtreinigung heißt: Reingehen, gucken und wieder rausgehen.“
Während man den Kopf noch schüttelt, erfassen die Lauscher den nächsten Dialog unter Berufsschülern. Fragt der Eine: „Wie alt bist du eigentlich?“ Sagt der Andere: „24.“ Erwidert der Erste: „Oh! Und wenn du 40 bist, bist du dann immer noch hier?“
Manchmal ist die ungewollte Ohrenzeugenschaft eher heiter, manchmal aber auch tragisch – wie im richtigen Leben. Am Friedensplatz flaniert ein verzweifeltes Fräulein vorbei, das seiner Freundin klagt: „Da stand, das wird um 10 Uhr frei geschaltet. Und ich bin extra früh aufgestanden...“ Ex-Studenten erahnen, worum es bei dem Gespräch ging.
Am Bertha-von-Suttner-Boulevard erklärt ein Dozent seinem Mitläufer, was er unter „Bildungsbulimie“ versteht: Wenn Studenten vor jeder Prüfung den Stoff in sich hinein fressen, ihn bei der Klausur hinaus lassen, aber leider kein bisschen Restwissen im Kopf bleibt. – Als die Ampel auf „Grün“ springt, schließt sich auch dieses Ohr zur anderen Welt. Bis zur nächsten Sichtreinigung... Sascha Stienen

(Erschienen am 18.10.2012 im Bonner General-Anzeiger.)
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