Mittwoch, 13. August 2008

Selten wird einem die Vergänglichkeit des menschlichen Körpers bewusster als beim Verlust eines Zahnes – noch dazu in hervorgehobener Stellung, also zum Beispiel mittig oben in der Kauleiste. Da kannst du mit Mitte zwanzig noch drüber lachen und auch mal mit Zahnlücke lässig einen Abend mit Freunden verbringen, um bei Nachfragen freundlich darauf hinzuweisen, du habest dich als Kirmesboxer auf dem Rummel versucht. Vergeblich, wie zu sehen sei.
Mit Mitte dreißig werden Zahnverluste schon etwas ernster. Und wenn dann auch noch so eine freundliche Karte vom Zahnarzt ins Haus flattert wie die oben stehende mit dem Neid-Erzeuger-Lächeln und der süßen Blume im Mund, dann wird dem Patienten anders. Mein Zahnarzt ist total nett, und es ist natürlich super, wenn er einen an die Vorsorgetermine per Postkarte erinnert. Aber das Bild hat ja leider nun mal gar nichts mit der Realität zu tun, eher mit seinem Anspruch. Eine Utopie.
Ich denke derweil zurück an den letzten Eingriff. Ein Backenzahn, der Fünfer oben rechts. Zehn Minuten dauerte das Ziehen. Zum Trost gab es: einen Tupfer, hammerharte Schmerztabletten, einen Zettel mit Notdienstadressen und einen Hinweis auf das richtige Verhalten nach einem operativen Eingriff. Das alte Gold wollte ich da schon gar nicht mehr haben.
In den nachfolgenden Stunden hatte ich das Gefühl, einen Krater im Mund zu haben, eine große Höhle, in der sechs Pelikanjunge und zwei Fische Platz fänden, wenn nicht ein ganzer Güterzug. Die Zunge gaukelte mir was vor, während immer wieder Blut nachlief und süßlich schmeckte.
Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann? Von wegen! Gerade jetzt wackelt der Stiftzahn wieder. Zeit für den nächsten Vorsorgetermin.
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